Blinde und Sehbehinderte sind im Alltag im Alltag mit vielen Hindernissen konfrontiert. Die Orientierung in der Umgebung fällt ohne Augenlicht oft schwer und normale Schriftstücke sind für sie nicht zugänglich. Während es mit dem Langstock und der Braille-Schrift für diese Probleme handfeste Lösungen gibt, bleibt so etwas Banales wie die Bedienung von Haushaltsgeräten auf der Strecke. Zusammen mit drei weiteren Verbänden aus dem DACH-Raum hat der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband die Initiative „Home Designed For All“ gegründet, um Hersteller*innen für die Bedienbarkeitsprobleme zu sensibilisieren, die blinde Menschen mit ihren Produkten erfahren.
Vom Drehregler zum Touch-Feld
Vor allem Kochfelder stellen für blinde Menschen eine Herausforderung dar, erklärt der DBSV. An Hand dieser Küchengeräte kann man den Wandel von der physischen zur digitalen Oberflächengestaltung besonders leicht nachvollziehen: Traditionelle Herde sind mit Drehreglern ausgestattet, die beim Bedienen einrasten und ihre Einstellung so haptisch rückmelden.
Bei modernen Induktionsherden sieht das anders aus: Oft dient ein Touch-Feld dem Einschalten und der Regulierung der Temperatur. Dabei gibt es bei vielen Geräten weder eine haptische Bestätigung der Einstellung durch Einrasten oder einen Widerstand, noch ein auditives Signal. Wird der Herd per Touch-Feld mangels Orientierung versehentlich aktiviert, ist das nur schwer bemerkbar, kann aber schnell schwere Verbrennungen und Brände zur Folge haben.
Zur weitern Unterstützung bringen viele seheingeschränkte Benutzer*innen Markierungen an den Drehreglern ihrer Küchengeräte an. Dafür haben Hersteller*innen wie Miele früher unaufgefordert Braille-Klebebeschriftungen mitgeliefert. Auch eine solche Kennzeichnung fällt heutzutage weg. Der Trend geht in Richtung digitale Bediensysteme, die Barrierefreiheit wird dabei allerdings zumeist nicht mit bedacht.
Mehrere Sinne ansprechen
Probleme bei der Bedienung von Haushaltselektronik treffen nicht nur sehbehinderte Menschen. Auch Menschen mit motorischen Einschränkungen oder solche, die unter Hörverlust leiden, können bestimmte Geräte nicht wie vorgesehen bedienen. „Home Designed for All“ fordert daher ein Multi-Sinne-Prinzip, also ein Bediensystem, das die Wahrnehmung und Bedienung eines Geräts über mindestens zwei verschiedene Sinne ermöglicht. Das kann bei einem Herd zum Beispiel über eine sprachgestützte Bedienung oder tastbare Bedienelemente erfolgen.
Weiterhin sei es wichtig, dass alle Beschriftungen und Anzeigen einen ausreichend hohen visuellen Kontrast aufweisen, Bildschirme entspiegelt sind, nicht blenden und Schrift ausschließlich in hinreichender Größe auftritt. Bietet sich das nicht für alle Nutzer*innen an, könne auch die individuelle Einstellbarkeit von Schriftgröße und Kontrast eine Lösung sein. Bei der Auswahl, Benutzung und Konfiguration der Geräte sollen behinderte Menschen durch geschultes Personal unterstützt werden, fordert „Home Designed For All“ weiter. Dies inkludiert die Bereitstellung barrierefreier Anleitungen in großer Schrift und leichter Sprache.
Um für alle bedienbare Produkte zu schaffen, sei es wichtig, Barrierefreiheit von vornherein mitzudenken und nicht erst nach erfolgter Planung um das Produkt zu ergänzen. Dabei kann es helfen, Menschen mit Behinderungen bereits in die Konzeption miteinzubeziehen und ihren Umgang mit den Geräten frühzeitig zu untersuchen.
So kann es gehen
Die vom „Home Designed for All“ aufgestellten Kriterien erfüllen Stand heute nur wenige Geräte. Umgesetzt werden können sie aber, wie eine Installation auf der Messe zeigt: Ein Student der Fachhochschule Technikum Wien hat zusammen mit dem Zusammenschluss „Home Designed for All“ ein Modell für ein solches barrierefreies Haushaltssystem entwickelt.
Auf der Internationalen Funkausstellung präsentiert die Projektgruppe eine Bedientafel, die aus einem Bildschirm, einem Navigationsfeld, einem Schieberegler und einem großen Knopf besteht. Die Benutzer*innen können mit dem Navigationsfeld aus verschiedenen Geräten auswählen, wobei das aktuell selektierte über eine Sprachausgabe vorgelesen wird. Ist das gewünschte Haushaltsgerät eingestellt, kann ein Paramater über den Schieberegler angepasst und per Knopfdruck an den Apparat gesendet werden.
Die Lösung kann per „Home Connect“ an zahlreiche Haushaltsgeräte angebunden werden. Dabei handelt es sich um eine Lösung, mit der sich Haushaltsgeräte jeder Art wie Waschmaschinen, Lampen und Ofen von Bosch und Siemens, nebst weiteren Hersteller*innen, per Smartphone-App und über Smart-Home-Anwendungen bedienen lassen. So gut das aktuell funktioniert, handelt es sich bei dem Konzept wohl mehr um ein Bastlerprojekt, als eine Lösung auf Dauer.
Blinde fühlen sich allein gelassen
Im Gespräch über die Kampagne schwingt auf der IFA konstant die Sorge mit, in Zukunft nicht mehr allein Essen zubereiten zu können. Viele Sehbehinderte fühlen sich von den Hersteller*innen im Stich gelassen. Während diese ihren Haushaltsartikeln laufend neue Funktionen beibringen, bleibt die Barrierefreiheit auf der Strecke. Es fehlt der Markt, meint eine Vertreterin des DBSV. Die Hersteller*innen richten sich nach ihrem größten Kundenstamm. Dabei fallen die Interessen von Minderheiten hinten runter.
Hoffnung stiften aktuelle Entwicklungen: So bemühen sich mit Bosch-Siemens und Miele gleich zwei große deutsche Konzerne um Gespräche mit dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband. Anders sieht es aber bei Großproduzent*innen aus Fernost aus, die zunehmend öfter auch den deutschen Markt beliefern, so eine DBSV-Sprecherin auf der IFA.
Eine gesetzliche Verpflichtung, die Barrierefreiheit von Haushaltsgeräten sicher zu stellen, gibt es bislang nicht. Zwar gelte diese EU-weit für digitale Anwendungen, Haushaltsgeräte sind von der Regelung aber explizit ausgenommen.