St. Paulis sportlicher Spagat bei gesellschaftlichen Leistungen

veröffentlicht am 18. November 2024

Dieser Satz hat völlig zurecht einen Shitstorm ausgelöst: „So eine schwule Scheiße unterschreibe ich
nicht“. Diese homophobe Aussage wurde von Wolfsburgs Bundesliga-Profi Kevin Behrens im Rahmen
einer Signierstunde getätig. Die entsetzten und empörten Reaktion waren durchaus legitim, wie der
richtige Umgang damit geht, zeigt nicht der Verein selbst, sondern Wolfsburgs Gegner vor einigen Wochen, St. Pauli.
Die linke Fan-Gemeinschaft des Vereins hatte den ehemaligen deutschen Nationalspieler beim Spiel vor drei Wochen erwartet. Das Netzwerk „St. Pauli Pride“ rief zu einem Aktionstag auf, folglich wurde das Millerntor in allen regenbunten Farben getränkt. Möglicherweise wurde das Kevin Behrens zu bunt, der Stürmer soll sich beim Aufwärmen zu einer Blowjobgeste Richtung St. Paulis Südkurve hingerissen haben. Das kann jedoch nicht abschließend geklärt werden, allerdings ist klar, dass so eine schwulenfeindliche Aussage nicht ohne dazugehöriges Gedankengut zustande kommt. Erschreckend viel Zuneigung bekam er im Netz, trotz seiner trockenen Entschuldigung im Nachhinein.

Große Zustimmung bei den Wolfsburger Fans bekam er jedoch nicht, im Gegenteil. Im ersten Spiel nach dem Aufschrei hielten die Fans ein Transparent mit der Aufschrift „Egal ob Daniela oder Kevin, Behrens Halts Maul!“ hoch. Mit Daniela ist die niedersächsische Innenministerin gemeint, die ein Auswärts-Verbot im Niedersachsen-Derby zwischen Hannover und Braunschweig durchgesetzt hat, weil es da regelmäßig zu gewaltsamen Ausschreitungen kommt. Für positive Schlagzeilen sorgte St. Paulis Anhang, der kritische Ansatz aus dem Wolfsburger Block wurde konsequent weitergedacht.
„EntBEHRENSwert“, „Mehr Liebe, weniger Kevin B.“ oder Kevin schäm dich“ waren die Botschaften neben den zahlreichen Regenbogen-Flaggen. Die Ultras Sankt Pauli zeigten ein Transparent mit der Aufschrift „K. Behrens findet Schwule scheiße. Echte Konsequenzen? Fehlanzeige. Fight Homophobia.“
Die Kritik richtet sich an die Wolfsburger Verantwortlichen. Denn es gab keine schwerwiegenden Konsequenzen, für den Wolfsburger Trainer Ralph Hasenhüttl ist das Thema „erledigt“, da das intern aufgearbeitet worden sei. Alexander Blessin, Trainer von St. Pauli, nahm vor dem Spiel die konträre Position ein, betonte noch einmal die farbenfrohe Identität seines Vereins.

Im Gegensatz zu dem Drumherum gab es auf dem Spielfeld keinen Gewinner bzw. Verlierer. Nach 90 Minuten mussten sich alle Beteiligten mit einem torlosem Unentschieden zufrieden geben. Das Spiel konnte ich trotz Bestätigung meiner Akkreditierungsanfrage und mehreren Stunden Pufferzeit nicht live vor Ort sehen. Randalierende Rostocker Hooligans, die eine gewaltvolle Konfrontation mit Fans von Rot Weiß Essen suchten, waren der Grund für etliche Verspätungen und Ausfällen von Zügen im Nordosten Deutschlands. Dadurch wurde mir einmal mehr bewusst, wie wichtig es ist, dass gerade St. Pauli in der Bundesliga ist, um Aufmerksamkeit auf beispielsweise die Stärkung von LGBT*-Rechten zu lenken. Wenn St. Pauli nicht erstklassig spielen würde, wäre es höchstwahrscheinlich nicht in der Form zu dieser intensiven Sensibilisierung nach der homophoben Aussage von Kevin Behrens gekommen. Es bleibt abzuwarten, ob St. Pauli weiterhin der Spagat von sportlichen und gesellschaftlichen Leistungen gelingt.

Ein Beitrag von:

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Fridolin Haagen

Jahrgang 2004, freier Journalist für die taz, den Freitag und die Fußball-Woche.

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