TuS Makkabi Berlin trifft auf Hertha 03 Zehlendorf, 11. Spieltag in der Oberliga Nord. Eigentlich ist es ein normales Fußballspiel im Amateurbereich, nur dass eben nichts daran normal ist. Eine Reportage
Sonntag um 12 Uhr, der Rasen gleicht einem Acker, ein paar Dutzend Fans sind versammelt. Es ist das aktuellste Heimspiel und dann noch gegen den Tabellenführer. Allgemein ist es ein ruhiger Mittag in Berlin-Westend ohne Fangesänge, nur auf dem Feld geht es hier und da hitzig zu. Es ist die zweite Saison für TuS Makkabi in der fünfttklassigen Oberliga.
Die Geschichte des Vereins reicht weit zurück. Der 1898 gegründete Verein gilt als erster jüdischer Verein Deutschlands. Aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde der Verein vom Spielbetrieb ausgeschlossen und durfte nur gegen andere jüdische Mannschaften antreten. Die Pogromnacht am 9. November, die letzten Monat zum 85. mal gejährt hat, war der Anlass des Nazi-Regimes den Verein zu verbieten. 1970 wird der Verein als TuS Makkabi Berlin wiedergegründet, viele jüdische Sportler schließen sich dem Verein an, mittlerweile tummeln sich etliche Religionen und Ethnizitäten in der 1. Herrenmannschaft.
Die Erfolgsgeschichte mündet in der Saison 2022/23, wo man die erste Spielzeit in einer überregionalen Liga mit dem Titel im Landespokal beenden kann. Dadurch qualifiziert sich das Team für den DFB-Pokal, wo der jüdische Verein mit 0:6 gegen VfL Wolfsburg verliert. TuS Makkabi Kapitän Doron Bruck betont in der Sportschau die Wichtigkeit, dass 75 Jahre nach dem Verbot zum ersten Mal eine jüdische Mannschaft an diesem Wettbewerb teilnimmt.
Doron Bruck, der Kapitän, ist eigentlich gar kein Kapitän mehr, ein zu spät angemeldeter Urlaub führte zu dieser Maßnahme, wie er im Gespräch zugibt. Er ist ein sympathischer, souveräner Typ, der privat sehr vertraut und sanft wirkt. Im Interview zwei Tage vor dem Spiel schildert er, dass er „jüdisch aufgewachsen ist in Berlin” und bei einem jüdischen Fußballverein spielt – TuS Makkabi.
Doch was heißt hier überhaupt jüdisch?
Von den Stammspielern sei er der einzige Jude. Er sagt aber, „in den Jugendmannschaften sind die Meisten jüdisch.”. Für ihn bedeutet jüdischer Verein, „dass die Geschichte des Vereins jüdisch ist”, es gäbe zwar keine Praktizierung von jüdischen Ritualen, aber „wir spielen an Schabbat nicht, wir spielen an jüdischen Feiertagen nicht.” Das ist für einige Spieler ungewohnt, doch der Verein setzt klar auf Vielfalt und Verständigung, möchte Juden und Nicht-Juden zusammenbringen, hat Spieler aus 16 Nationen unter Vertrag. Es bleiben dennoch viele antisemitische Vorfälle.
Der prominenteste Fall ereignete sich letzte Spielzeit, als die Jugendmannschaft von TuS Makkabi auf Hertha 06 traf. Es kam zu Beleidigungen und Hitlergrüßen nach dem Spielschluss, die Spieler mussten fluchtartig den Platz verlassen. Der Vizepräsident äußerte sich nach dem Vorfall öffentlich antisemitisch, sodass er für zwei Jahre vom Verband gesperrt wurde und mit einer Geldstrafe belegt worden ist. Auch wegen diesem Hintergrund, gibt Bruck zu, es sei besser, dass das Spiel gegen die Herrenmannschaft bereits im September absolviert wurde.
Der Bedarf an positiven Schlagzeilen von jüdischen Sportlerinnen und Sportlern ist groß, daher ist der Sieg im Landespokalfinale gegen Sparta Lichtenberg nicht nur wichtig für einen Verein, sondern eine ganze Community. Das Spiel im DFB-Pokal legt noch eine Schippe drauf, ein wahres Fußballfest, Jüdinnen und Juden können sich zu ihrem Verein und Religion offen bekennen und zusammen mit Gästefans und nicht-jüdischen Menschen diesen Tag genießen.
Die Zensur erfolgt am 7. Oktober, der Terrorangriff der Hamas zerstört nicht nur unbeschreiblich viele Menschenleben im Nahen Osten, sondern auch die Visionen und Ziele von Makkabi Berlin. Zu oft wird der Verein von allen Seiten mit Israel gleichgesetzt, bei Doron Bruck weicht das Lächeln aus seinem Gesicht.
Er ist der einzige Spieler mit israelischer Nationalität im Kader, ist am 7. Oktober auf dem Weg nach Israel zu seinen Verwandten. Nach der Meldung des terroristischen Angriffs der Hamas stoppt das Flugzeug in der Türkei. Sein Vater hat im Jom Kippur Krieg gekämpft, riet ihm dazu nach Berlin zurückzukehren. An der Stelle sieht Bruck sehr emotional und mitgenommen aus, die Geschichte zu erzählen fällt ihm sichtlich schwer. Es ist erschreckend, was Terror mit dem Alltag und Leben von Menschen macht. Auch muslimische Spieler im Kader befürchten zum Teil Repressionen für ihre Familie im Heimatland.
Bei TuS Makkabi ist der Alltag Fußball, nicht Israel, das Judentum oder der Nahe Osten – jetzt ist es ein Alltag in Angst.
„als Jude in Berlin kennt man es, einer abstrakten Gefahr ständig ausgesetzt zu sein“
Doron Bruck
Das Ligaspiel gegen die TSG Neustrelitz wurde deswegen einen Tag später abgesagt, kurz danach folgte der Paukenschlag: Makkabi Berlin kündigte an, sich vom Ligabetrieb und dem Pokalwettbewerb abzumelden. Nicht nur wird der Fußball in der derzeitigen Situation zur Nebensache, auch ist die Angst vor antisemitischen Angriffen groß, leider berechtigterweise. Selbst im Bundestag wurde Solidarität mit dem Verein bekannt, Omid Nouripour (Grüne) stellte sich in seiner Rede am 12. Oktober an die Seite TuS Makkabis.
Jedoch kann jetzt wieder Fußball gespielt werden – unter Polizeischutz, das wird jetzt wahrscheinlich Alltag. Doron Bruck erzählt, für ihn sei das sowieso normal, „als Jude in Berlin kennt man es, einer abstrakten Gefahr ständig ausgesetzt zu sein.”. In seiner jüdischen Grundschule gab es eine Sicherheitsschleuse, wie man sie am Flughafen kennt. „Es war für mich immer normal, aber natürlich ist es nicht normal.”.
Bruck antwortet auf die Frage, ob es absurd oder wichtig ist, in so einer Situation Fußball zu spielen, ganz klar beides. Für Außenstehende ist diese Faszination an Fußball so oder so sehr schwer zu begreifen, und dann noch in so einer Situation sich auf ein solch scheinbar irrelevantes Thema zu konzentrieren? Doch dieses Phänomen kann man auch in der Ukraine beobachten, dort wo irgendwie gespielt werden kann, rollt der Ball. Gerade in zermürbenden Zeiten kann diese Ablenkung Gold wert sein.
Es ist jedoch auch essentiell, dass muslimischen Spielern ebenfalls die Möglichkeit gegeben wird, sich angemessen zu äußern und um für die zivilen Opfer zu trauern, bei den Verwandten im Gazastreifen zu sein. Wenn die palästinensische Zivilbevölkerung Respekt in deutschen Fußballstadien zu spüren bekommt, könnte sich die Zahl antisemitischer Vorfälle verringern.
Die Polizeipräsenz beim Spiel gegen Zehlendorf ist allerdings merklich zurückgegangen. Abseits war ein Polizeiwagen zu sehen, das Spielgeschehen beobachteten zwei Polizisten. Auf Nachfrage erläuterten sie jedoch, dass über Funk sehr schnell Verstärkung anrücken könnte. So konnten sich die Beamten auf das Fußballspiel konzentrieren, welches auch einen hohen Unterhaltungswert bot. Nach verwandelten und verschossenen Elfmeter, viel Leidenschaft und einer roten Karte, konnte TuS Makkabi dem Tabellenführer mit dem 1:1 Endergebnis den ersten Punktverlust zuführen. Unter den Zuschauenden war auch ein Fan von Tennis Borussia Berlin, er erzählte, er sei dem offiziellen Solidaritätsaufruf des Vereins gefolgt.
Nach dem Spiel beantwortet Bruck noch ein paar Fragen, es geht jedoch nur um Fußball, er sieht zufrieden aus. Hoffentlich kann TuS Makkabi Berlin wieder mehr und mehr seine Leidenschaft in den Alltag integrieren – Fußball.
Eindrücke der Partie TuS Makkabi – Hertha 03 Zehlendorf mit anschließendem Interview
Fridolin Haagen